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Rainer Hätingergestorben am 31. August 2020

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Zu Beginn eines jeden Lebens stehen einem unendlich viele Türen offen. Mit jeder Entscheidung in unserem Leben durchschreiten wird eine dieser Türen, auch wenn wir nicht immer alle im Blick haben. Bei der Geburt weinen die meisten Neugeborenen, während sich andere dazu entscheiden, den ersten Toilettengang auf dem Vater zu verrichten.

Nur wenige Menschen haben das Glück, Eltern zu haben, die sie bei allem unterstützen und somit jede Tür offen halten. Die besonders gesegneten Menschen haben dann noch Eltern wie ich. Eltern, die das Wohl der Kinder immer über ihr eigenes stellen und alles in ihrer Macht stehende tun, um ihre Kinder zu unterstützten. Unter den Vätern gibt es noch weniger, die das mit demselben Tatendrang wie mein Vater machen. Stets gewollt, sein eigenes Interesse zurückzustellen. Er war der liebevollste, und einer der wenigen von Herz aus guten Menschen, die man sonst doch so oft verzweifelt sucht. Eine Schulter zum Anlehnen, ein Motivator. Er war der Mensch, zu dem ich immer aufblickte. Auch wenn ich physisch gesehen doch meist runterschauen musste. Er war ein Mensch, der Tag ein, Tag aus, charakterliche und psychische Stärke zeigte. Hilfsbereit war er gegenüber jedem, auch wenn das nicht immer wertschätzend zur Kenntnis genommen wurde. Dabei hätte er doch selbst dringend eine helfende Hand gebraucht.

Jeder Mensch stößt in seinem Leben irgendwann auf einen Tiefpunkt. Ein Auslöser für eine Abwärtsspirale, dessen Zeitpunkt unmöglich vorher zu sagen ist. Eine schwere Phase im Leben und man beginnt abwärts zu trudeln. Ohne es zu realisieren kreist man tiefer und tiefer. Man verschließt sich mehr und mehr, blendet immer mehr Türen aus.
Hilferufe verhallen leise im Alltagslärm.
Ungehört.

Manche Menschen finden eine Tür mit dem Ausweg, während anderem aus dem Loch geholfen wird. Geschieht dies nicht, wird das Loch tiefer und tiefer. Alles wird immer dunkler bis hin zum tiefen Schwarz. Immer mehr Türen verschwinden. Sei es durch ein Ereignis oder einfach so. Irgendwann erreicht jeder noch so starke Mensch seinen absoluten Tiefpunkt. Alles pechschwarz. Gähnende Einsamkeit. So lässt es der Tunnelblick auf einen wirken. Kein Ausweg mehr.

Langsam lässt sich eine letzte Tür erkennen. Sie wird klarer und klarer. Was tun, wenn einem nur noch eine Tür im Leben erscheint, eine Entscheidungsmöglichkeit? An diesem Punkt stehen einem immer noch unendlich viele Türen offen. Doch in der Dunkelheit sieht man diese nicht. Es gibt nur noch eine Lösung für alles Leiden, alle Probleme. Ein letztes Hoch vor dem endgültigen Fall.

Wieso hat er nur noch eine Tür gesehen? Was hat den Kreisel ausgelöst? Das sind Fragen, deren Antworten wir, zumindest in diesem Leben, vergeblich suchen können. Wieso sollten wir sie uns also immer und immer wieder stellen?

Hätte ich es verhindern können? Hätte ich helfen können? Der Kopf malt sich im Nachhinein unendlich viele Szenarien aus. Doch keines ist real.
Niemand kann sich einen Vorwurf machen. Gleichsam kann ihm kein Vorwurf gemacht werden. Im Nachhinein sieht man immer mehr Türen, durch die man hätte gehen können.

Die Vergangenheit konnte noch niemand ändern, doch die Zukunft schon. Das Leben geht weiter. So hart es ist diese Tatsache zu akzeptieren. Für uns sehe ich unendlich viele Türen. Alle mit derselben Aufschrift: „Das Leben geht weiter“. Alle mit derselben Voraussetzung für den Eintritt: Zusammenhalt, gegenseitige Hilfe und Unterstützung und Stärke.

Das Leben geht weiter, und so geht jeder mit der Zeit seine eigenen Wege. Der wahre Verlust, den ein jeder hieraus jedoch bekommen kann, wäre es diesen einzigartigen Menschen zu vergessen. Ein geliebter Ehemann, Vater, Sohn, Bruder aber auch Freund. Einen Menschen, der in seinem unerschöpflichen Tatendrang immer danach bestrebt war, anderen zu helfen. Besonders seiner Familie. Kaum ein Mensch stellt so selbstverständlich sein eigenes Wohl hinter das seiner Familie.

Physisch mag er von uns gegangen sein, doch sein Geist lebt weiter. In Erinnerungen, Fotos und unseren Gedanken. Und diese sollten wir ganz tief abspeichern, denn Rainer sollte nicht für seine letzten, sondern seine größten Taten in Erinnerung behalten werden.